Fachartikel
Mehr Workout – weniger Beschwerden!
Dieser Artikel erschien im Oktober 2011 im Fachmagazin Hebammenforum. Autorin ist Verena Wiechers, sie schrieb auch das MamaWORKOUT-Buch „Prä- & Postnatales Training – Ratgeber für sportliche Schwangere und Mütter“ und entwickelte die MamaWORKOUT-DVD-Serie. |
Dieser Artikel erschien im Oktober 2011 in der Zeitschrift des Deutschen Hebammenverbandes, Autorin Verena Wiechers – Expertin für Prae- & Postnatales Training:
Noch vor wenigen Jahren galt Sport für schwangere Frauen als Tabu. Mittlerweile sind sich die Experten einig: Moderate sportliche Betätigung ist gut für Mutter und Kind. Wohldosierte und gezielt eingesetzte Bewegung verbessert die Gesamtkonstitution der werdenden Mutter, beugt schwangerschaftstypischen Beschwerden vor oder lindert sie.
Sicherheitsregeln
Natürlich ist nicht jede Bewegungsform für Schwangere geeignet. Ungeeignet sind selbstverständlich Extremsportarten (z.B. Marathon), Wettkampfsportarten (z.B. Radrennen), Kontaktsportarten (z.B. Judo), Sportarten mit Sturzrisiko (z.B. Snowboarden in der Halfpipe) oder sehr herausfordernde Bewegungformen (z.B. Bikram-Yoga). Demgegenüber ist ein ganzheitlich ausgerichtetes MamaWorkout ideal und bringt zahlreiche positive Auswirkungen mit sich. Doch bevor diese thematisiert werden, muss kurz auf die Kontraindikationen eingegangen werden. Als Hebamme können Sie den Frauen eine Liste mit einfachen Sicherheitsregeln an die Hand geben:
In folgenden Fällen gilt generelles Sportverbot:
• wenn der/die Gynäkologe/in ein Sportverbot erteilt hat
• wenn die Frau schon eine Früh- oder Fehlgeburt (nach 12.SSW) hatte
• wenn die Frau in den letzten 3 Jahren am Unterleib bzw. an den weiblichen Geschlechtsorganen operiert wurde
• wenn die Frau stark über- oder stark untergewichtig ist
• wenn die Frau zu wenig zunimmt
• bei chronischer Herz- oder Lungenerkrankung, bei Anämie (Blutarmut), bei Bluthochdruck, bei Schilddrüsenerkrankung
Während des Trainings muss bei folgenden Anzeichen sofort abgebrochen und ein Arzt/eine Ärztin aufgesucht werden:
• bei vaginalen Blutungen oder starkem Ausfluss
• bei frühzeitigen Wehen oder starker Verhärtung der Bauchdecke
• bei plötzlichen Schmerzen oder Schwellungen in den Gelenken, den Händen oder dem Gesicht
• bei starken Kopfschmerzen oder Sehstörungen
• bei plötzlich auftretender Schwäche oder Schwindel
• bei Schwellung, Schmerz oder Rötung in einer Wade
Der Körper ist weniger leistungsfähig als vor der Schwangerschaft und fordert häufiger Pausen ein. Es ist wichtig, sensibel auf die Signale des Körpers zu hören:
• Bei Müdigkeit und/oder Abgeschlagenheit das sportliche Training verschieben! Sinnvoll ist jetzt ein erfrischender Spaziergang an der frischen Luft.
• Wie intensiv trainiert werden darf, hängt davon ab, wie leistungsfähig der Körper VOR der Schwangerschaft war. Ausgehend davon die Trainingsintensität im Laufe der 40 SSW kontinuierlich verringern! Weder bei Ausdauer- noch bei Kraftbelastungen an die körperlichen Grenzen gehen! Das Anstrengungsempfinden sollte nie über „ein bisschen anstrengend, gut machbar“ hinaus gehen!
• Anzeichen, dass das Training zu intensiv ist: 1. Schmerz/Zug/Druck im Bereich des Beckens oder der Körpermitte, 2. man muss so intensiv atmen, dass man nicht mehr sprechen kann (Sprechtest).
• Alle Workouts sollten vitalisierend, nicht auspowernd wirken!
• Zwischendurch Wasser trinken und immer einen Riegel/Traubenzucker parat haben, um plötzlicher Unterzuckerung begegnen zu können!
Positive Auswirkungen
Wenn Schwangere regelmäßig einem zielgruppenspezifischen, ganzheitlich ausgerichteten Fitness-Programm nachgehen, lassend die motorischen Fähigkeiten Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination im Laufe der Schwangerschaft deutlich weniger nach UND können nach der Entbindung recht schnell wieder aufgebaut werden. Außerdem leiden die Frauen deutlich weniger an den typischen Schwangerschaftsbeschwerden – das ist wissenschaftlich erwiesen. Darüber hinaus wirken sich ein höheres Maß an Vitalität und Durchhaltevermögen sowie ein gutes Körpergefühl positiv auf die Geburt und die anschließende Rückbildungsphase aus.
Folgende Beschwerden werden durch Training in der Schwangerschaft reduziert:
• Rücken- und Nackenschmerzen
• Darmträgheit
• Inkontinenz
• geschwollene Beine und Füße, Krampfadern, Thrombose
• übermäßige Gewichtszunahme (Schwangerschaftsdiabetes)
• schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck
• Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen
Folgende Vorteile entstehen durch Training in der Schwangerschaft:
• weniger Müdigkeit, allgemein mehr Energie und Wohlbefinden
• der Alltag mit dickem Bauch kann leichter gemeistert werden
• generell eine bessere Haltung
• weniger Rücken- und Nackenbeschwerden
• mehr Energie und Durchhaltevermögen für die Geburt und die ersten Baby-Wochen
• ein gutes Körpergefühl für die Geburt und die anschließenden Rückbildungsübungen
• nach der Entbindung verläuft die Regeneration bzw. die Rückbildung leichter
Aufbau und Inhalte eines effektiven MamaWorkouts
Die MamaWorkout-Trainingsprogramme sind optimal auf die Schwangerschaft abgestimmt. Um die oben beschriebenen Effekte zu erzielen, müssen in einem MamaWorkout-Programm drei wesentliche Aspekte Berücksichtigung finden: Ganzheitlichkeit, Angemessenheit und Regelmäßigkeit!
Die Ganzheitlichkeit ergibt sich daraus, dass nicht nur ein Gymnastikprogramm durchgeführt wird, sondern auch Körper- und Bewegungswissen sowie Übungen für Zuhause vermittelt werden. Sinnvoll ist eine Mischung aus ein wenig Theorie und viel Praxis – das bedeutet konkret:
1. Vermittlung von theoretischem Hintergrundwissen über den weiblichen Körper während der Schwangerschaft (Texte, Schaubilder, Modelle etc.)
2. Durchführung von Körperschulungen (Beckenbodenschulung, Haltungsaufbau, richtiges Tragen etc.)
3. Einüben von Übungen für Zuhause bzw. für Zwischendurch im Alltag (LWS-Entlastungsübungen, Atemübungen etc.)
4. Durchführung von Gymnastikprogrammen, die Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit verbessern bzw. erhalten
Mit Angemessenheit ist gemeint, dass alle Inhalte (Körperschulungen, Gymnastikübungen etc.) auf die Bedingungen und Bedürfnisse des schwangeren Körpers abgestimmt werden.
Ohne eine gewisse Regelmäßigkeit kann keine Effektivität erzielt werden. Notwendig ist, dass das Gymnastikprogramm mindestens 1 x wöchentlich (besser 2x) durchgeführt wird. Zusätzlich sollten die Schwangeren die Übungen für Zuhause eigenständig in den Alltag integrieren.
Was kann man mitels Bewegung tun, um den schwangerschaftstypischen Beschwerden vorzubeugen oder sie zu lindern?! Im Folgenden ein paar Bewegungsangebote, Übungsideen und Alltagstipps:
– Die Schwangere sollte dem Bedürfnis nach mehr Ruhe nachgehen, aber nicht nur auf dem Sofa liegen, denn das lähmt das Herz-Kreislauf-System sowie den Stoffwechsel und ein Negativkreislauf beginnt. Um den Körper in der Umbauphase zu unterstützen, sollten Ruhephasen mit Bewegungssequenzen an der frischen Luft (Radeln, Spazieren) abwechseln. Zusätzlich ist ein Gymnastikprogramm angeraten! Achtung: Anstrengende Ausdauer- und Kraftbelastungen vermeiden!
– Eine Anregung des Stoffwechsels hilft dem Körper, mit den Wassereinlagerungen zurecht zu kommen.
– Regelmäßiges Ausdauer-, Kraft und Beweglichkeitstraining und viel Bewegung im Alltag wirkt ALLEN hier oben genannten schwangerschaftstypischen Beschwerden entgegen!
– Kräftigungs- und Koordinationsübungen für die Hüftstabilisierende Bein/Gesäßmuskulatur sowie für die autochthone (=tiefliegende) Rückenmuskulatur sind empfehlenswert!
– Die s.g. Muskelpumpe, die durch Fuß-/Beintraining aktiviert wird, unterstützt den Venenrückfluss, mildert die Symptomatik „schwere Beine“ und mindert das Krampfader/Thrombose-Risiko. Deshalb: Fuß- und Beintraining durch Gymnastik-Workouts und im Alltag Treppensteigen statt Aufzug, Radfahren statt Autofahren! Für Zuhause: Verschiedene Hochlagerungen für die Beine!
– Gelenke sollten nur moderat belastet und nur sanft gedehnt werden. Gelenkstauchung oder -überstreckung vermeiden! Zur Gelenkstabilisation Koordinationsübungen und Techniktraining durchführen!
– Achtung: Im Gymnastik-Workout sowie im Alltag sollten schnelle Stellungs- bzw. Lagewechsel vermieden werden (z.B. vom Liegen schnell aufstehen), da kommt der Kreislauf evtl. nicht mit und der Frau wird schwindelig.
– Kein Kraftaufbautraining mit hohen Gewichten, stattdessen sanftes Kraftausdauertraining!
– Den Beckenboden nicht mehr stark belasten: Stoß- und sprungintensive Bewegungen durch Low-Impact-Bewegungen (=keine Sprünge) ersetzen! Intraabdominalen Druck (z.B. durch schweres Heben oder durch Übungen, die den Bauchraum stauchen) vermeiden!
– Damit die Funktionseinheit Beckenboden während der gesamten Schwangerschaft ihre wichtigen Aufgaben erfüllen kann (Unterstützung der Haltung, Kontinenzgewährleistung etc.) sollte sie sowohl in ihren dynamischen als auch in ihren statischen Bewegungsfunktionen auf submaximale Weise trainiert werden. Gleichzeitig sollten Feingefühl und Entspannungsfähigkeit des Beckenbodens geübt werden, was für die Geburt und die anschließende Rückbildung wichtig ist. Die Beckenboden-Entspannungssequenzen im Hinblick auf die Geburt mit entsprechender Atemtechnik verbinden!
– Durch regelmäßiges moderates Ausdauertraining und viel Bewegung im Alltag lässt sich der Ausdauer-Abbau reduzieren und die Frau hat mehr „Puste“ für die Alltagsbelastungen.
– Als Ausdauer-Trainingsmethode ist die Dauermethode empfehlenswert: 20-60 Min. bei gleichbleibender Belastung (Anstrengungsempfinden „mittel“), Überprüfung der Trainingsbelastung mittels Sprechtest.
– Richtlinie Sprechtest: Die Frau sollte während des Trainings stets in der Lage sein, eine Unterhaltung aufrecht zu halten. Wenn sie so schnell und tief atmen muss, dass sie kaum mehr sprechen kann oder Seitenstechen bekommt, hat sie sich zu hoch belastet. (Mit einer Pulsuhr zu trainieren ist nicht sinnvoll, da die Herzfrequenz sich bei Schwangeren sehr individuell verändert. Es gibt bis heute keine wissenschaftlich fundierten Angaben zur maximalen Herzfrequenz während der Schwangerschaft. Der Sprechtest ist die aussagekräftigste Methode zur Intensitätssteuerung.)
– Moderates Ausdauertraining sowie ein ausgewogener Wasserhaushalt (viel Wasser/Tee trinken!) wirken sich positiv auf niedrigen sowie leicht erhöhten Blutdruck aus.
– Achtung: Bei Niederdruckwerten unter 100/70 sowie bei Hochdruckwerten über 140/90 sollte ein Arzt kontaktiert werden.
– Übungen in der Seitlage sind den Übungen in der Rückenlage vorzuziehen.
– Wenn bei Übungen in der Rückenlage Schwindel oder Übelkeit auftreten, sollte die Frau sich auf die linke Seite drehen.
– Die Funktionseinheit des Muskelkorsetts (bestehend aus gerader, schräger, querer Bauchmuskulatur und autochtoner =tief-liegender Rückenmuskulatur) vor allem statisch kräftigen!
– Entspannungs- und Entlastungsübungen für die WBS durchführen und für Zuhause mitgeben!
– Die gerade Bauchmuskulatur sollte nicht mehr dynamisch zum Einsatz kommen. Übungen, bei denen der Rumpf aus der Rückenlage (dynamisches Training der geraden Bauchmuskeln) aufgerollt wird, sind zu vermeiden. D.h. keine geraden und keine schrägen Crunches mehr!
– Die schräge Bauchmuskulatur und die autochthone Rückenmuskulatur dynamisch und statisch in der Seitlage trainieren!
Autorin Verena Wiechers ist zweifache Mama, Sportwissenschaftlerin, Fitness- & Gymnastiklehrerin und Leiterin der AKADEMIE FÜR PRÄ- & POSTNATALES TRAINING, ein Ausbildungsinstitut für Hebammen, Physiotherapeutinnen und Trainerinnen. Für Schwangere und Mütter hat Verena das MamaWORKOUT-Konzept entwickelt, dieses Konzept gibt es in Video- und Buch-Form, außerdem werden deutschlandweit MamaWORKOUT-Kurse von zertifizierten Prä- & Postnataltrainerinnen angeboten. |
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